Moderne Formen von Theater oder Performances haben insbesondere in Zeiten von Corona einen besonderen Reiz. Die Räume des Veranstaltungsorts sehen allerdings gänzlich anders und eher untypisch aus – im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie.
Mein Bildschirm ist gefüllt mit fünf großen violetten Kacheln, die wie kleine Räume aussehen. Darüber sind einige kleinere Kacheln zu sehen, in denen andere Personen zu erkennen sind.
Im Hintergrund säuselt leise ein Sound, der an Entspannungsmusik erinnert, als eine Moderatorin mich und alle anderen Teilnehmer und Teilnehmerinnen willkommen heißt:
„Willkommen im Wohnkomplex.“ Ich höre etwas über virtuelles Couchsurfing, wer das Projekt betreut, gefördert und unterstützt hat und bekomme ein paar Instruktionen, mit welchen Einstellungen der Zoom-Applikation ich in den kommenden 60 Minuten das bestmögliche Erlebnis dieser virtuellen Performance gewährleistet bekomme.
Dann geht es los. Die Musik wird etwas lauter und auf surreale und vielfältige Weise erscheinen fünf Frauen in den violetten Räumen und schauen schließlich in meine Richtung. Es klingelt und alle werden plötzlich hektisch aktiv, als würden sie noch aufräumen müssen oder sich anderweitig auf meinen Besuch vorbereiten.
Auf einmal legt sich ein Bildschirmfenster mit einer Frage an mich über die Szene. Ich klicke eine Antwortmöglichkeit an, dann kommt eine weitere Frage. Es scheint so, als wollen die Gastgeberinnen etwas über mich erfahren. Im Hintergrund nehme ich noch eifriges Gewusel der Performerinnen wahr. Nach der letzten der fünf Fragen sehe ich die jungen Damen wieder, die sich nun wieder auf ihren Platz setzen und in meine Richtung schauen. Es Klingelt wieder und einige Sekunden später finde ich mich in einem Zwiegespräch mit meiner ersten Gastgeberin wieder. Alle anderen Personen sind offensichtlich verschwunden. Sie werden nun auch bei Ihren Gastgeberinnen sein.
Unser Gespräch fängt mit einer Aufgabe an. Ok, nun habe ich verstanden, dies wird eine Performance, in die ich aktiv einbezogen werde. Das war also mit der Beschreibung Gesprächsformat in der Ankündigung der Veranstaltung gemeint. Spannend. Thematisch sprechen wir über das Wohnen. Eine anregende Unterhaltung folgt, die ich gerne länger geführt hätte. Aber ein Hinweis auf dem Bildschirm gibt uns noch eine Minute Zeit, bevor wir wieder mit allen anderen Besuchern und Gastgeberinnen ein Bildschirmfenster teilen. Das kommende Intermezzo bereitet mich auf den nächsten Besuch bei einer der anderen Gastgeberinnen vor. Dort ist weiterhin das Thema Wohnen Inhalt des Gesprächs, allerdings aus einem anderen Blickwinkel betrachtet.
Dies ist der Anfang einer virtuellen Reise in einer Performance, die mich mit vielen kreativen Impulsen in eine Gedankenwelt des Wohnens, der verschiedenen Formen von Zusammenleben und meiner eigenen Vorstellungen von Privatheit holt.
Nach etwa einer Stunde habe ich drei Gastgeberinnen besucht und mir wurden in den Gesprächen und in den Intermezzo-Räumen einige Fragen gestellt, die ich mir vorher noch nie gestellt habe. Zusätzlich kamen eigene Fragen zum Thema Wohnen hinzu, mit denen ich mich in Zukunft beschäftigen werde. Am Ende werde ich mit neuen Ideen und Eindrücken aus dieser virtuellen Performance entlassen, die sehr angenehm sind, mich aber auch etwas nachdenklich stimmen. So kann also kulturelle Begegnung in Zeiten von Corona auch funktionieren.
WOHNKOMPLEX Trailer – Video mit Einblicken "hinter den Vorhang"
Video-Veranstaltungen neu gedacht
Als Host der Aufführungen konnte ich bei den Proben einen guten Eindruck dieser Performances bekommen. Als Gast habe ich sie nur testweise erlebt. Die Aktivitäten in den Zwiegesprächen waren für mich nur erlebbar, wenn ich zu einer der Performerinnen in den virtuellen Wohnraum eingeladen wurde – ansonsten waren dies virtuelle Räume der Privatsphäre für Gastgeberin und Besucher*in.
Bei jedem der 14 Auftritte dieser sehr besonderen Performance habe ich immer wieder leicht andere Details als Beobachter sehen und erleben dürfen. Die Abläufe waren zwar gleich – dafür hatte sich jeder von uns passende Ablaufpläne und Checklisten erstellt – aber im Detail wurde jeder Auftritt durch die Gäste in Interaktion mit den Gastgeberinnen einzigartig.
Zu dem Zeitpunkt, als ich im Februar dieses Jahres als Kreativ-Technischer Support und Zoom-Host in das Projekt vom Kreativ-Haus Münster und Rue Obscure eingeladen wurde, hatte ich nur eine grobe Vorstellung davon, was wir gemeinsam mit den Performerinnen und Gästen erschaffen würden. Die Möglichkeiten der Zoom Meeting Plattform wurde für die Performances neu interpretiert und für die Veranstaltungen eingesetzt. Auf der einen Seite hat dies die Zahl der Teilnehmer*innen beschränkt, auf der anderen Seite eine sehr intime Erfahrung ermöglicht.
Nach den Auftritten konnte ich die überaus positiven Kommentare der Besucher*innen im virtuellen Gästebuch lesen und habe jetzt eine Ahnung davon, was dieses Künstler Projekt auslösen konnte.
Virtuelle Orte, "remote" arbeiten und neue Impulse
Für viele der Teilnehmer*innen hat es Gedanken über die eigene Vorstellung vom Wohnen, vergangene Erfahrungen mit alternativen Wohnlebenswelten oder völlig neue Ideen zum Wohnen hervorgebracht.
Das ist es, was ein sehr experimentelles, virtuelles Kunst-Projekt erschaffen kann. Und es ist etwas, weshalb ich mich freue, meinen Teil als Host dazu beigetragen zu haben. Es war ein ungewöhnliches und spannendes Projekt, in dem auch ich immer wieder über neue Lösungsansätze nachdenken musste und durfte. Es war ein Kulturprojekt mit einem tollen, offenen und inspirierenden Team. Bei diesem Projekt würde ich mich freuen, wenn es zu einem späteren Zeitpunkt eine weitere Wiederaufnahme geben würde, die ich wieder begleiten darf.
Meine Arbeitsort war in Hamburg. Aber alle Abstimmungen, Proben, Aufführungen, selbst Premierenparty und Retrospektive waren rein virtuell, quasi global. Ich weiß nur, meine Kolleginnen waren größtenteils von Münster aus aktiv und viele Gäste kamen aus dem Münsterland. Ob nicht doch jemand aus New York mit dabei war, weiß ich nicht – aber es wäre möglich gewesen.
Viele Grüße aus den vielfältigen virtuellen Welten
Christoph Steinhard
Projektbeteiligte:
Konzept: Katharina Kolar, Anne Keller / RUE OBSCURE
Performerinnen: Sarah Benekam, Silvia Eid, Lina Lampertz, Lea Wächter, Laura Will
Kreativ-technischer Support: Christoph Steinhard / projektwerft
Ein Projekt in Kooperation vom Kreativ-Haus e.V. und RUE OBSCURE; gefördert vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen und unterstützt von der projektwerft.
Projekt Webseite des Kreativ-Haus Münster
Zeitraum: März/April 2021
Proben: 8. – 18.3.2021
Öffentliche Proben und Aufführungen: 22. – 25.3.2021
Wiederaufnahme der Aufführungen 17. + 18.4.2021
Anzahl der Aufführungen: 14
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